Der blaue Wunderbär

Es war in den Tagen, da die Nebel schwer über den Tälern lagen und die Wälder ein stilles Geheimnis bargen, als sich die Kunde verbreitete von einem Wesen, das niemand je zu Gesicht bekommen hatte und dennoch jeder kannte: der Blaue Wunderbär. Er soll tief in den dunklen Wäldern hausen, hieß es, ein Geschöpf von überirdischer Gestalt, dessen bloßer Anblick das Herz mit einem unaussprechlichen Glück erfüllte. Doch so viele sich auch aufmachten, ihn zu suchen, so viele kehrten unverrichteter Dinge zurück, verzweifelt ob der Unmöglichkeit, ihn je zu finden.

So begab es sich, dass auch der junge Albrecht, der seit seiner Kindheit die Legenden um den Wunderbären kannte, eines Tages beschloss, sich auf die Suche zu machen. Sein Herz war erfüllt von einer Sehnsucht, die er weder beschreiben noch ablegen konnte. Ihn trieb die unerklärliche Gewissheit an, dass er der Auserwählte sei, der das Wunder vollbringen und den Bären finden würde.

Mit einem schlichten Rucksack und dem Flüstern der Legenden in seinem Ohr brach Albrecht auf. Die ersten Tage seiner Wanderung waren von Mut und Hoffnung getragen. Der Weg führte ihn durch Wälder, die vom Tau des Morgens glänzten, über Hügel, die im goldenen Licht der Abendsonne erstrahlten. Er sprach mit Wanderern und Hirten, die ihm von geheimnisvollen Spuren erzählten, die manchmal im weichen Moos zu finden waren – doch immer verliefen sie im Nichts.

Die Tage wurden zu Wochen, und Albrechts anfänglicher Enthusiasmus begann zu schwinden. Er durchquerte finstere Schluchten und erklomm steile Felsen, doch der Blaue Wunderbär blieb ihm verwehrt. Mit jedem Schritt schien das Ziel ferner, das Mysterium größer, die Suche sinnloser. In den stillen Nächten, wenn der Wind durch die Bäume strich, überkamen ihn Zweifel. War es wirklich möglich, den Wunderbären zu finden? Oder war dies alles nur eine Illusion, geboren aus der Sehnsucht nach einem Wunder in einer Welt, die längst keine mehr kannte?

Doch je größer die Verzweiflung, desto tiefer wuchs in ihm die Überzeugung, dass er nicht aufgeben durfte. Der Wunderbär war nicht bloß ein Wesen aus Fleisch und Blut, nein, er war eine Verkörperung all dessen, was jenseits des Fassbaren lag – eine Verheißung, die denen offenbart wurde, die unermüdlich nach dem Unmöglichen strebten.

Am Ende seiner Kräfte gelangte Albrecht eines Tages an den Rand eines Sees. Das Wasser lag ruhig und spiegelte den klaren Himmel wider, nur ein zarter Hauch bewegte die Oberfläche. Und dort, am anderen Ufer, im flimmernden Zwielicht der Dämmerung, glaubte er, eine Gestalt zu sehen. Groß und majestätisch, mit einem blauen Schimmer, der in der Abendluft flackerte – es war er, der Blaue Wunderbär!

Albrechts Herz schlug wild, er rief nach dem Bären, doch die Gestalt blieb still, unbeweglich. Als er verzweifelt auf sie zulief, begann sie langsam zu verblassen, bis nichts mehr von ihr übrig blieb, als das Rauschen des Windes im Geäst. Zutiefst erschüttert brach Albrecht nieder. Er hatte ihn gesehen – oder hatte er es doch nur geträumt? Konnte es sein, dass der Wunderbär nichts weiter war als ein Trugbild, eine Illusion, die von den eigenen Wünschen genährt wurde? So sehr er sich auch mühte, so weit er auch ging, der Wunderbär würde stets jenseits seiner Reichweite bleiben – ein Traum, der nie zur Wirklichkeit werden konnte.

Die Nacht senkte sich herab, und Albrecht wusste, dass er den Wunderbären niemals finden würde. Doch in dieser Erkenntnis lag auch eine seltsame Ruhe. Vielleicht, dachte er, war der Wunderbär nicht dazu da, gefunden zu werden. Vielleicht lag die wahre Erfüllung nicht in der Ankunft, sondern in der Suche selbst, in der unendlichen Sehnsucht, die den Menschen vorwärts trieb, auch wenn das Ziel unerreichbar blieb.

Und so blieb Albrecht, wie so viele vor ihm, gefangen in der unstillbaren Suche nach dem blauen Wunderbären – dem Symbol des Unerreichbaren, dem Traum, der immer nur einen Schritt voraus war.